Besucherstarke Auftaktveranstaltung des TraFoNetz Nordschwarzwald
PFORZHEIM/NORDSCHWARZWALD.
Mit dem Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald (TraFoNetz) hat am Dienstag, 16. Mai 2023, die bislang größte Gemeinschaftsinitiative zur Unterstützung der Automobilzulieferer und ihrer Beschäftigten im Nordschwarzwald die Arbeit aufgenommen.
In der besucherstarken Auftaktveranstaltung bei der Firma Witzenmann in Pforzheim machten die TraFoNetz-Akteure vor rund 150 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung deutlich, dass die Automotive-Unternehmen und ihre Beschäftigten im Nordschwarzwald schnellstens auf die Transformation vom Verbrenner-Motor zu alternativen Antrieben reagieren müssten. Andernfalls könnten sie im schlimmsten Fall vom Markt gefegt werden.
Porsche-Chef Oliver Blume erklärte in der jüngsten Jahrespressekonferenz, den Anteil an E-Autos bis zum Jahr 2030 auf mehr als 80 Prozent steigern zu wollen. Und Mercedes-Boss Ola Källenius rückt trotzt einiger Hindernisse beim Hochlauf der Elektromobilität nicht davon ab, dass zum Ende dieses Jahrzehnts unter den Motorhauben der Sternkarossen zu 100 Prozent Elektromotoren verbaut sein sollen.
Beide Unternehmen haben bisher veritable Aufträge an Zulieferer im Nordschwarzwald vergeben. Das habe keinen Bestand mehr, warnte Professor Bernhard Kölmel von der Hochschule Pforzheim. Ihn haben die Mitglieder des 28-köpfigen Transformationsbeirats in der Gründungsversammlung zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Die Konzerne, so Kölmel, würden sich beim Einkauf von Technik und Software für ihre Elektrofahrzeuge verstärkt auf dem Weltmarkt bedienen. Dies sei eine weitere Gefahr neben der Transformation.
In diesem elektrifizierten und von Umbrüchen gekennzeichneten Umfeld hätten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Komponenten-Hersteller, die auf den traditionellen Antriebsstrang fokussiert seien – ob Benziner oder Diesel-Aggregat – mittel- bis langfristig geringe Chancen zu überleben, warnte Kölmel. Alternativ müssten die Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Produktionen ändern, sich neue Märkte suchen oder ihr Glück als Nischenanbieter finden. Bei den Lösungen wolle TraFoNetz aktiv unterstützen.
Der gleiche Veränderungsdruck gelte für die Mitarbeitenden. So manche Fachausbildung sei im Zuge des Wandels nicht mehr gefragt. Weiterbildung, Umschulung und Qualifizierung seien die Gebote der Stunde, machte Martina Lehmann, Chefin der Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim deutlich. Die Arbeitsagentur sei entsprechend darauf vorbereitet, die Beschäftigten zukunftssicher weiterzubilden. „Für eine erfolgreiche Transformation der Automobil- und Zulieferindustrie braucht es zusätzliche Anstrengungen in der beruflichen Weiterbildung, bekräftigte auch Dr. Stefan Baron, Geschäftsführer der AgenturQ, eine gemeinschaftliche Einrichtung von IG Metall und Südwestmetall.
Nach einer Erhebung innerhalb des VW-Konzerns sei klar, dass 35 bis 62 Prozent der Beschäftigten im Laufe der nächsten Jahre einen neuen Job brauchen, „quasi nicht mehr in der Tätigkeit beschäftigt sein können, in der sie heute beschäftigt sind“, erklärte der Betriebsratsvorsitzende der VW-Tochter Porsche AG, Carsten Schumacher (Weissach), als Referent des Kick-off. Auch für den Sportwagenhersteller gelte, dass bis 2030 „hundert Prozent unserer Mitarbeiter nicht einfach so weitermachen können, wie heute.“
Dass die Region Nordschwarzwald eine von insgesamt 40 betroffenen Automotive-Hotspots in Deutschland ist, zeigt eine Studie von IW-Consult. Einer Erhebung zufolge fallen rund 1.500 Unternehmen mit mehr als 30.000 Beschäftigten im Nordschwarzwald in die Kategorie der Transformations-Branche.
Die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald GmbH (WFG) mit Geschäftsführer Jochen Protzer hat durch den bewilligten Förderantrag beim Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Berlin mit TraFoNetz ihr bisher größtes Projekt mit einem Volumen von 6,77 Millionen Euro in die Region geholt, um den Wandel der Unternehmen zu begleiten. Die WFG fungiert als Konsortialführerin. Neben der Hochschule Pforzheim stehen ihr als weitere Konsortialpartner die Arbeitsagentur Nagold-Pforzheim und die AgenturQ zur Seite.
Sogenannte assoziierte Partner sind die IHK Nordschwarzwald, die Handwerkskammern Karlsruhe und Reutlingen, 1886 Ventures, e-mobil BW, IG Metall und Südwestmetall. Hinzu kommt der 28-köpfige Transformationsbeirat mit Vertreterinnen und Vertretern von namhaften Unternehmen, Verbänden und Institutionen sowie Kommunalpolitik. Insgesamt also ein Konglomerat an ausgewiesener Expertise für die Unterstützung von Unternehmen und Beschäftigten.
Gemeinsames Ziel der TraFoNetz-Akteure ist es, sowohl die Unternehmen wie auch die Beschäftigten auf die Anforderungen der neuen automobilen Welt zu trimmen. Dazu haben sie ein umfangreiches Maßnahme-Paket geknüpft. Zu den Angeboten gehören unter anderem: Strategieberatung, Fördermittelberatung und Antragsunterstützung, Trainings für Führungskräfte, Qualifizierungsangebote für Beschäftigte, Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung, Webinare, Vernetzungen und vieles mehr.
In einer Roadshow in den kommenden Monaten wird das TraFoNetz-Projekt auch im automotive-starken Landkreis Calw (beispielsweise Nagold und Altensteig) sowie im Landkreis Freudenstadt (unter anderem Horb) vorgestellt.
WFG-Aufsichtsratsvorsitzender und Landrat Helmut Riegger sieht das TraFoNetz-Projekt „angesichts der vielen Firmen im Nordschwarzwald, die von der Fahrzeugindustrie abhängig sind, genau richtig aufgesetzt“.
Xu Zhu, Referent im Referat Digitalisierung, Industrie 4.0, im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz als Fördergeldgeber, spricht von einem „längerfristigen Strukturwandel. Außerdem kann und soll der gesamte Verkehrssektor einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten“.
Sie sei froh, „dass die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald den Weitblick hatte, alle Akteure – von den Unternehmen und den Gewerkschaften über die Arbeitsagentur bis hin zur Hochschule – zusammen zu bringen, um unsere Energie zu bündeln und nach vorne zu richten“, erklärte Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. Sie habe laut Projektleiterin Katharina Bilaine die WFG auf das Förderprojekt aufmerksam gemacht und sich in Berlin für den Nordschwarzwald-Zuschlag eingesetzt.
Für die Firma Mahle erklärte Martin Thum, Ausbildungsleiter Deutschland, dass das Unternehmen „im Rahmen der Transformation auf die weitere Optimierung klassischer Verbrenner-Motoren setzt“, aber auch auf ein stark wachsendes Feld der Elektromobilität und auf die „großen Bedeutung des Thermomanagements“.
Philip Paschen, stellvertretender Vorsitzender Geschäftsführung der Firma Witzenmann und Hausherr des Kick-off-Events sowie Mitglied im Transformationsbeirat, wies darauf hin, dass das 170 Jahre alte Pforzheimer Familienunternehmen bereits zweimal transformierte – vom Schmuckunternehmen in die Industrie, von der Industrie zum Automobilzulieferer. „Und jetzt geht es richtig rund. Jetzt müssen wir in der Dekarbonisierung der Wirtschaft ankommen.“
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