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Entwicklung digitaler Produkte läuft ganz anders als früher

Die Digitalisierung stellt alle Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen. Eine davon ist die Entwicklung neuer digitaler Produkte, die heutzutage konsequent vom Nutzer her gedacht wird. Produkte. Besonders kleine und mittlere Unternehmen (KMU) benötigen dabei Unterstützung. Das von der MFG geleitete europäische Projekt DIGITRANS will diese Hilfestellung leisten – mit einem zweistufigen Verfahren, bei dem in Workshops Innovationsmethoden vorgestellt und gemeinsam mit dem Unternehmen durchgespielt werden. Damit sollen die KMU befähigt werden, auf zeitgemäße Weise eigene neue und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln und diese dann auch selbst umzusetzen.

Gemeinsam mit dem Herman Hollerith Zentrum der Hochschule Reutlingen sowie 15 weiteren Partnern aus neun Ländern bietet die MFG das DIGITRANS-Projekt für Unternehmen im Donauraum an. Dabei handelt es sich um einen wirtschaftlich sehr vielfältigen Raum entlang der Donau, von Baden-Württemberg bis zum Schwarzen Meer. DIGITRANS richtet sich an KMU aus den Sektoren Kreativwirtschaft, Gesundheit und Advanced Manufacturing. "Es geht um einfach anzuwendende Werkzeuge, mit denen KMU nachhaltig anfangen können, digitale Ideen und Geschäftsmodelle zu entwickeln", berichtet die Projektleiterin Petra Newrly.

Bewerbungen für das Trainingsprogramm sind ab März 2018 möglich, die Workshops beginnen im Mai.

Teilnehmer durchlaufen zwei Phasen

Teilnehmende Unternehmen durchlaufen zwei Phasen. Die erste davon, die sogenannte Innovationsphase, ist für alle KMU aus den genannten Sektoren offen. Über ganz Baden-Württemberg verteilt, sind zehn Trainings für jeweils etwa 15 Teilnehmer geplant. Dort werden an branchentypischen Beispielen die Chancen und Herausforderungen des digitalen Wandels für Geschäftsmodelle vorgestellt, ebenso nutzerzentriertes Arbeiten und Entwickeln. "Im Idealfall nehmen die Teilnehmer die Anregungen ins Unternehmen mit und entwickeln dort eine digitale Geschäftsideen", sagt Petra Newrly.

Mit dieser Idee können KMU sich für die zweite Phase bewerben. In jedem der neun teilnehmenden Länder wird es einen Inkubator geben, wo die Unternehmen in der Transformationsphase aus der Idee einen mit modernen Methoden wie Design Thinking oder Business Model Canvas gestalteten Prototypen und ein dazu passendes Geschäftsmodell entwickeln. In Baden-Württemberg findet diese zweite Phase im Herman Hollerith Zentrum in Böblingen statt.

"Wir sehen in unserer täglichen Arbeit, dass es immer noch eine große Herausforderung für die Unternehmen ist, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln", sagt Petra Newrly. Um zu überprüfen, ob DIGITRANS für die Unternehmen wirklichen Nutzen verspricht, wurde die zweite Phase einmalig bereits im November am Inkubator in Böblingen mit dem Freiburger Herder Verlag durchgespielt. Im Interview berichtet der Geschäftsleiter IT/Digital von den Erfahrungen mit dem Workshop.

Online-Trainingsplattform mit Handlungsempfehlungen

Parallel zu den Workshops entwickeln die DIGTRANS-Projektpartner eine unabhängig nutzbare Online-Trainingsplattform. Sie enthält weiteres Material für eigenständiges Lernen sowie konkrete Handlungsempfehlungen, welche Methoden die Unternehmen in welcher Situation einsetzen können, um die Innovations- und Transformationsphase eigenständig umzusetzen. Unternehmen können Innovationsmethoden herauspicken und werden bei deren Anwendung etwa mit Videos oder Leitfäden digital an die Hand genommen. Diese Plattform wird noch mindestens zwei Jahre nach Projektende online sein.

DIGITRANS soll den Unternehmen helfen, die Produktentwicklung selbst an die digitale Welt anzupassen. "Das heißt, iterativ zu arbeiten, also in Schleifen. Fehler zuzulassen, Dinge auszuprobieren und daraus zu lernen", sagt Petra Newrly. Außerdem sollen die Teilnehmer lernen, vom Kunden her zu denken, Use Cases und typische Nutzergruppen zu beschreiben. Man richte sich auch und gerade an Unternehmen, die mit Methoden wie Design Thinking vielleicht schon experimentiert haben, aber eben merken, dass sie noch stark in ihren alten Routinen verhaftet sind.

Die MFG hat bereits in Vorläuferprojekten mit Partnern aus dem Donauraum zusammengearbeitet. Deshalb, und "weil man im europäischen Austausch viel voneinander lernen kann", wie Petra Newrly formuliert, ist DIGITRANS nicht auf Baden-Württemberg beschränkt. Das Projekt hat ein Budget von 2,1 Millionen Euro und wird mit knapp 1,8 Millionen Euro aus den Mitteln des Interreg Danube Transnational Programmes des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung unterstützt. Die Teilnahme ist für Unternehmen kostenfrei, Fragen beantwortet Petra Newrly.

"Konnten sehen, was für uns wirklich passt"

Im November hat der Freiburger Herder Verlag mit fünf Teilnehmern vorab den Innovationsworkshop aus der zweiten Phase des DIGITRANS-Projekts durchlaufen - gemeinsam mit vier Mitarbeitern von der MFG und der Hochschule Reutlingen. Oliver Hübsch, Geschäftsleiter IT/Digital bei Herder, berichtet im Interview von der ganztägigen Veranstaltung im Böblinger Herman Hollerith Zentrum.

Herr Hübsch, warum war Herder das "Versuchskaninchen" für das Projekt DIGITRANS?

"Die Entwicklung digitaler Produkte läuft ganz anders als man das früher in Verlagen gemacht hat - von der Zusammenstellung der Teams über das Formulieren von User Stories bis zum Prototyping. Einige der Methoden, die bei DIGITRANS zum Einsatz kommen, etwa agiles Entwickeln, wenden wir bereits an. Bei DIGITRANS konnten wir weitere Methoden kennenlernen und schauen, was für uns wirklich passt. Denn Begriffe wie Design Thinking sind ja omnipräsent - aber eben nur selten bereits wirklich implementiert. Da wollten wir als Verlag beurteilen können, ob es sinnvoll ist, das bei uns zu übernehmen."

Womit sind Sie in den Workshop gegangen?

"Wir haben uns ein Produkt ausgesucht, das wir tatsächlich realisieren wollen. Die Idee dafür gibt es schon, erschienen ist es aber noch nicht. Es handelt sich um eine Software für den Kindergartenbereich, die Prozesse für Erzieherinnen und Erzieher digitalisiert. Jedenfalls sind wir mit einem interdisziplinären Team in den Workshop gegangen - also Lektorat, Redaktion, Vermarktung, App-Management sowie einer externen Beraterin. Im Inkubator haben wir den gesamten Prozess der Produktentwicklung von A bis Z mal unter Laborbedingungen durchgespielt."

Und was haben Sie gelernt?

"Zunächst einmal: Da stecken so viele Methoden drin, dass man den Workshop besser auf zwei Tage auslegt. Spannend war, wie viele Ideen wir gesammelt haben. Leider blieb keine Zeit mehr, einen Prototypen tatsächlich herzustellen. Dafür haben wir einmal an unserem geplanten Produkt durchgehen können, ob wir alle Use Cases abgebildet oder noch blinde Flecken hatten."

Können Sie ein wenig vom Ablauf berichten?

"Für das Prototyping haben wir bei Herder bislang noch keine fixe Methode, da waren wir also sehr interessiert und offen. Im Workshop haben wir dann zunächst Use Cases für die unterschiedlichen möglichen Nutzer definiert. Dann haben wir identifiziert, wie unsere Software welche Probleme lösen kann. Und dann haben wir einen Prototypen abgebildet - das kann ein Mock-up sein, etwas Geklebtes oder eine Skizze auf Papier. Damit wollen wir dem Technikpartner gegenüber möglichst gut und in allen wesentlichen Punkten abbilden, was das Produkt können soll. Die Hoffnung ist, dass die Idee damit besser vermittelt wird als wie früher mit einem Pflichtenheft, wo man viel missverstehen kann. Darüber hinaus können wir den Prototypen auch sehr gut dafür einsetzen, um direkt Feedback von unseren potenziellen Zielgruppen zu erhalten und beim Testing beobachten, wie sie darauf reagieren."

Ist so ein Vorgehen nicht eigentlich schon immer selbstverständlich?

"Wir als Auftraggeber müssen vermitteln können, was das Produkt soll. Es hat sich gezeigt, dass Technikpartner oder Agenturen mit den bisherigen Methoden das manchmal nicht verstanden haben. Wenn wir einen Prototypen entwickeln, wird das schneller klar. Und wir können auch viel zielgerichteter testen, ob der Nutzer das Produkt annimmt. Dafür ist es wichtig, dass die Methode standardisiert ist."

Kann ein Unternehmen nach dem Workshop einen kompletten Innovationsprozess eigenständig durchführen?

"Wenn ich mir ein kleines oder mittleres Unternehmen vorstelle, das noch nie von diesen Methoden gehört hat - die werden sich vielleicht schwer tun und nach dem Workshop jedenfalls auf einen Berater angewiesen sein. Wir bei Herder beschäftigen uns schon seit vier, fünf Jahren mit Innovationsmethoden und wenden Business Model Canvas ja zum Beispiel in der App-Entwicklung bereits an. Es gibt ja auch keinen Zwang, die Methoden aus dem Workshop eins zu eins genauso im Unternehmen durchzuspielen. Wir zumindest werden uns einige wesentlichen Aspekte herauspicken und damit weiterarbeiten. Die Methode Business Model Canvas ist für uns spätestens seit dem Workshop in der digitalen Produktentwicklung gesetzt."

Quelle: MFG