proHolzBW: Kreislauffähiges Bauen mit Holz im Fokus
Bei seiner Begrüßung betonte proHolzBW-Geschäftsführer Uwe André Kohler die notwendige Neuorientierung des Bausektors aufgrund der dringenden Fragen der Klimakrise: „40 Prozent des weltweiten CO₂-Ausstosses werden durch das Bauen verursacht, allein in Deutschland fallen jährlich 230 Mio. Tonnen Abfälle durch die Bau- und Gebäudewirtschaft an.“ Dringender Handlungsbedarf also für das Denken und die Umsetzung in geschlossenen Kreisläufen mit dem Ziel, die Wiederverwendung von Bauteilen zu forcieren. Eine Sicht, die auch Peter Rothdach vom Generalsponsor Würth in seinem Redebeitrag teilte.
Recyclinghaus Hannover, The Cradle in Düsseldorf, das neue Bürogebäude der Elektrizitätswerke Schönau und die Metropolitan School in Berlin – die vorgestellten Objekte der diesjährigen Fachtagung nahmen die Teilnehmer mit auf eine Reise der faszinierenden Möglichkeiten des modernen Holzbaus quer durch die Republik.
Nils Nolting von CITYFÖRSTER architecture urbanism PartGmbH stellte mit dem Recyclinghaus ein „experimentelles Wohnhaus vor, das bundesweit einen einmaligen Umfang des Einsatzes von Recycling- und Gebrauchtmaterialien ausweist“. Dies führt nach Aussage des Architekten „zur erheblichen Verminderung der grauen Energie und zu immensen Ressourceneinsparungen im Herstellungsprozess“. Beispiele dafür: Rund 90 Prozent der Fassadenbekleidungen sowie sämtliche Fenster und Außentüren wurden aus gebrauchten Bauteilen hergestellt. Auch beim Innenausbau wurden laut Nolting „fast vollständig auf gebrauchte Bauteile und Materialien zurückgegriffen“. Wichtig dabei: Die gebrauchten Bauteile wurden ausschließlich lokal in der Region rund um die niedersächsische Landeshauptstadt gewonnen.
The Cradle ist, so Carmen Stirmlinger von HPP Architekten Stuttgart, „als erstes Düsseldorfer Bürogebäude in Holzhybrid-Bauweise geplant“. Der Anspruch ist hoch: „Das im Medienhafen prominent liegende Gebäude hat das Ziel, zu einer Wiege der Innovationen zu werden und Impulse für die Zukunft des Bauens zu setzen“, so Stirmlinger weiter. Der Einsatz von Holz steht im Vordergrund, lediglich die Untergeschosse, der aussteifende Kern und die Stützen des Erdgeschosses sind in Stahlbeton vorgesehen. Die Tragwerksplanung von The Cradle liegt in den Händen von knippershelbig Stuttgart, Boris Peter erläuterte die Ausgangslage: „Die Konstruktionsprinzipien folgen dem Cradle to Cradle Konzept, so dass bei allen Materialien auf Nachhaltigkeit und Recyclingfähigkeit geachtet wird. Es werden die technischen Möglichkeiten von Stahlbeton und Holz genutzt, das Gebäude lotet diese bis an die Grenze des Machbaren aus.“
Konsequent auf den Baustoff Holz setzen auch die sogenannten „Stromrebellen“ aus dem Südschwarzwald, die Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Der 2020 fertiggestellte Neubau des Verwaltungsgebäudes wurde von Marco Engler, Harter + Kanzler Architekten Freiburg, und Markus Rommel, Ingenieurbüro Wirth-Haker Freiburg, vorgestellt. Der vierstöckige Holzbau der Gebäudeklasse 4 besteht ab dem ersten Obergeschoss aus so Engler „Brettsperrholz-Bauteilen für Wände, Decken und Dach mit sichtbaren Oberflächen aus Weisstanne“. Beim Brandschutz werden die Anforderungen an hochfeuerhemmende Bauteile in Holzbauweise (F60) erfüllt. Aus Sicht des Tragwerksplaners richtete Rommel sein besonderes Augenmerk der Erdbebensicherheit: „Die Bemessung der Erdbebenlasten zeigt, dass der Holzbau hier Vorteile hat und Aussteifungskerne aus Stahlbeton durchaus verzichtbar sind.“
Die Metropolitan School in Berlin, 2021 in der Kategorie „Bauen im Bestand“ mit dem Deutschen Holzbaupreis ausgezeichnet, stellt die Erweiterung eines 1987 errichteten Stahlbetonbaus dar. Architekt Jürgen Bartenschlag, Sauerbruch Hutton Berlin, beschrieb die besonderen Rahmenbedingungen: „Die Bauarbeiten mussten während des laufenden Schulbetriebes durchgeführt werden. Aus diesem Grund wurden die Aufstockungen als großformatig vorgefertigtes Holzbausystem konzipiert, das die Bauzeit wesentlich verkürzte und die Baustellenemissionen minimierte.“ Das geringe Eigengewicht der Holzkonstruktion hatte zusätzlich den Vorteil, dass keine zusätzlichen Fundamente oder Eingriffe am Tragwerk des bestehenden Gebäudes notwendig waren. Die Nutzfläche der Schule wurde durch die Aufstockung um 3500 m² erweitert.
In zwei Parallelblöcken „Umgang mit Bestand“ und „Kreislauffähiges Bauen“ am Nachmittag wurde den 300 Besuchern der Fachtagung vertieftes Wissen angeboten. Im ersten Strang „Bestand“ referierten Uli Matthias Herres, Herres & Pape Architekten PartGmbH Salmtal, und Prof. Andreas Müller, Holzbauexperten GmbH CH-Biel. Müller, der bis 2021 die Leitung des Institutes für Holzbau, Tragwerke und Architektur der Berner Fachhochschule in Biel inne hatte, wies bei seinem Thema „Zustandserfassung und Bewertung von Holzbau-Konstruktionen im Bestand“ auf die Ausgangslage hin: „Die Zustandsanalyse erfasst die konstruktiven Zusammenhänge des Gebäudes, beurteilt die Tragfähigkeit und deckt Schäden an den Konstruktionsteilen auf. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Planung und verringert die Gefahr von Kostensteigerungen.“
Im zweiten Block „Kreislauffähiges Bauen“ stellten Prof. Ingo Lütkemayer, Hochschule Bremen, mit den Stadtwerken Neustadt in Holstein und Prof. Jürgen Graf von der TU Kaiserslautern mit der Werk- und Forschungshalle Diemerstein zwei Beispiele der Leistungsfähigkeit des Baustoffes Holz vor. Graf skizzierte die Zielsetzung der gemeinsam mit Studierenden entwickelten Halle: „Wir wollen Innovationen zum kreislaufeffektiven Bauen mit Holz erforschen. Bei dem 360 m² großen Gebäude wird Holz bei der Primärkonstruktion, den Fassaden und beim Ausbau zum Einsatz kommen. Bauteile sollen dabei lösbar und wiederverwendbar sein.“
Durch die am gleichen Tag stattfindende Plenarsitzung im baden-württembergischen Landtag konnte Minister Peter Hauk sein Grußwort nicht zu Beginn der Fachtagung halten. Entscheidend war aber nicht der Zeitpunkt, sondern der Inhalt seiner Rede: „Baden-Württemberg hat sich das Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu werden. Dabei kommt es ganz entscheidend auf den Bausektor an.“ Mit der 2018 initiierten Holzbau-Offensive setzt das Land laut Hauk sehr stark auf den Baustoff Holz: „Wir müssen uns neu orientieren, dies tun wir auf verschiedenen Ebenen: z.B. ist die Landesförderung von Gewerbebauten nur noch für Holzbauten möglich, wir arbeiten an der Vereinfachung des Ordnungsrechtes und wollen die Verwaltungsmitarbeiter weiter schulen.“ In der Holzbau-Offensive BW haben sich sechs Ministerien des Landes zusammengeschlossen, die Federführung liegt beim von Peter Hauk geführten Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz BW.
Zum Abschluss der Fachtagung erlebten die Teilnehmer eine Premiere: die erstmalige Verleihung des Promotionspreises Holz-Baukultur Deutschland. Damit werden Nachwuchswissenschaftler*innen ausgezeichnet, die sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit der praktischen Anwendung des Werkstoffes Holz im Bauwesen auseinandersetzen. Erster Preisträger ist Dr. Nico Meyer für seine Dissertation „Tragfähigkeit mechanischer und geklebter Verbindungsmittel in Buchenfurnierschichtholz“, die er 2020 an der Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften des Karlsruher Institutes für Technologie abschloss. Prof. Stefan Krötsch, HTWG Konstanz, Mitglied und Sprecher der siebenköpfigen Jury, war es vorbehalten, die Laudatio auf den ersten Preisträger zu halten: „Mit seiner Arbeit hat Dr. Meyer Kennwerte für Buchen-Furnierschichtholz ermittelt, die bereits in bauaufsichtlichen Zulassungen Verwendung gefunden haben. Dies ist umso bemerkenswerter, weil zuvor noch keine materialgerechten Bemessungen in bauaufsichtlichen Normen oder Regelungen zur Verfügung standen.“
Der Promotionspreis Holz-Baukultur Deutschland wurde ausgeschrieben von proHolz Baden-Württemberg mit Unterstützung der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) und Förderung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Der mit 2000 € dotierte Preis wird mitgetragen durch die Kooperationspartner Landesbetrieb Wald und Holz NRW, Holzbau-Cluster Rheinland-Pfalz und pro holzbau hessen.
Quelle: proHolzBW