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Klein aber fein– Biotech in der Region

Die Biotechnologie-Branche in der Region entwickelt sich seit Jahren erstaunlich stabil. Das liegt auch daran, dass es hier viele Firmen gibt, die nicht dem großen Blockbuster-Medikament nachjagen, sondern die Kooperation mit dem Maschinen- und Anlagenbau suchen, um biotechnologische Produktion serientauglich zu machen.

Biotechnologie - war da was? Die aktuellen Zahlen, zusammengefasst im Deutschen Biotechnologie Report 2016 von Ernst & Young, scheinen dagegen zu sprechen. So ging die Zahl der Neugründungen in Deutschland allein in den vergangenen vier Jahren von 28 auf 11 zurück. Und der Markt für Risikokapital, von dem vor allem die innovativen Arzneimittelentwickler abhängig sind, ist in Deutschland immer noch unterentwickelt: 2015 flossen ganze 236 Millionen Euro in Unternehmen der Biotechnologie - der Löwenanteil, nämlich 167 Millionen Euro, stammte von einer Handvoll Investoren und kam lediglich ei- nem Unternehmen zugute. Das ist ein Bruchteil des Kapitals, das der Branche etwa in den USA zur Verfügung steht. Den US-Branchenriesen wie Amgen oder Genentech mit ihren Milliardenumsätzen hinken selbst die besten hiesigen Unternehmen um gut zwei Jahrzehnte hinterher.

Dies zumindest gilt, wenn man nur das klassische Geschäftsmodell der Biotechnologie betrachtet: Eine kleine innovative Firma - oft aus der Hochschule heraus gegründet - entwickelt einen Arzneimittelwirkstoff und finanziert diese oft viele Jahre dauernde Arbeit über staatliche oder private Risikokapitalfonds. Mit den klinischen Studien sowie der anschließenden Massenproduktion und Vermarktung ist solch ein Unternehmen meist überfordert, und so verkauft es sein Produkt an ein großes Pharmaunternehmen. Mit der Selbstständigkeit ist es dann aus, nicht selten auch mit dem Standort.

"Natürlich ist für viele Unternehmen die Finanzierung der erste und wichtigste Flaschenhals", sagt Dr. Klaus Eichenberg, Geschäftsführer der BioRegio Stern, die die Entwicklung der Biotechnologie-Branche in den Regionen Stuttgart und Tübingen/Reutlingen vorantreibt. Jedoch sei dieser Flaschenhals nicht für alle Firmen gleich eng. Gerade in der Region gebe es Unternehmen wie die Cegat GmbH & Co. KG in Tübingen, die sich über Analysedienstleistungen von Anfang an aus eigener Kraft finanziert hat. Andere hätten sich darauf verlegt, Zellkulturverfahren, Analysemethoden oder Medizinprodukte zu entwickeln, an die weniger strenge gesetzliche Anforderungen gestellt würden als an Medikamente. "Nach dem Platzen der Neuer- Markt-Blase zu Beginn des Jahrtausends hatten wir in der Region auch weniger Insolvenzen zu beklagen als anderswo", so Eichenberg.

Beobachten kann man das etwa im "Life Science Center" in der Esslinger Schelztorstraße. In dem Gründerzentrum, das im Jahr 2000 auf Initiative von Esslingens Oberbürgermeister Zieger eingerichtet wurde, gab es seither viel Fluktuation - nur eines der zurzeit fünf dort ansässigen Unternehmen ist seit der Anfangszeit dabei. Aufgeben mussten indes nur wenige. Einigen wurde es in der Schelztorstraße dagegen zu eng - so dem Naturkosmetikhersteller HAN-GmbH. Um die aufstrebenden Unternehmen möglichst in Esslingen zu halten, weitet die Stadt ihr Engagement aus - auf dem ehemaligen Hengstenberg-Areal soll bis Jahresende das "Life Science Center 2" entstehen.

Birgit Emberger ist Geschäftsführerin des Life-Science-Fonds der Stadt - wohl ein Unikum unter deutschen Kommunen. Das Kommanditkapital in Höhe von 2,6 Millionen Euro ist derzeit in insgesamt sieben Biotech-Startups angelegt. "Seit Gründung des Fonds 2002 mussten nur drei Unternehmen Insolvenz anmelden", sagt Emberger. Dagegen haben zwei der Empfänger die Förderung bereits zurückgezahlt - mit einer Verzinsung von acht Prozent. Eine gute Anlage, die man bei der Stadt aber gleichwohl als Wirtschaftsförderung betrachtet. So scheint man es auch bei den anderen Geldgebern zu sehen, zu denen neben der Kreissparkasse und der Volksbank auch private Investoren sowie der Automatisierungsspezialist Festo gehören.

Dass sich das große Familienunternehmen aus Esslingen-Berkheim für Biotechnologie interessiert, überrascht nur auf den ersten Blick. "Es handelt sich um ein wichtiges Zukunftsfeld mit enormem Potenzial auch für uns als Automatisierer", sagt Peter Jaschke, Leiter Geschäftsentwicklung Medizintechnik und Laborautomatisierung bei Festo. So werden z.B. die Diagnostikmöglichkeiten ständig verbessert, in kurzer Folge kommen neue Geräte auf den Markt, in denen auch Technik von Festo eingesetzt wird. "Wir partizipieren hier an einem stark wachsendem Markt, in dem wir - im Gegensatz zu Branchen wie der Automobilindustrie, in denen Festo seit Jahrzehnten etabliert ist - noch kaum vertreten sind", so Jaschke. Bei Festo seien die Umsätze im Life-Science-Bereich seit einem Jahrzehnt Jahr für Jahr zweistellig gewachsen - wenn auch von einer vergleichsweise niedrigeren Basis aus.

"Das ganz große Thema ist seit einigen Jahren, wie man biotechnologische Verfahren standardisieren, automatisieren und für die Großserie tauglich machen kann", sagt Wirtschaftsentwickler Eichenberg. Biotech-Startups suchten verstärkt den Kontakt zu den Maschinenbauern, von denen es in der Region Stuttgart so viele gibt. Und die innovativeren unter diesen alteingesessenen Unternehmen sind sich ebenfalls bewusst, dass sich ihnen hier eine Chance bietet, neue Märkte zu erschließen.

Gleich, ob es um die Herstellung von Zellkulturen geht, um Antikörpertests, Gense- quenzierung oder den Nachweis von Fremd- DNA mittels Polymerasekettenreaktion - alle diese zum Teil bahnbrechenden Verfahren haben ihre Wurzeln in Laborrezepten, die auf einen Fertigungsingenieur ziemlich hemdsärmelig wirken. Diese lassen sich aber nicht so einfach in den Fabrikmaßstab übertragen wie die Techniker das gewohnt sind. "Anders als bei der Produktion von Motoren oder Wechselrichtern hat man es hier nicht mit klaren Ursache-Wirkung-Ketten zu tun", erklärt Eichenberg. "Es sind immer statistische Effekte, mit denen man hier umgehen muss, und das erscheint manchem Ingenieur äußerst unberechenbar." Umgekehrt ist Automatisierung für viele Naturwissenschaftler ein unbekanntes Terrain. So fallen Biochemiker aus allen Wolken, sobald ihnen klar wird, dass die Umlenkrollen in einer Anlage gefettet werden müssen - unter Reinraumbedingungen völlig undenkbar.

Ingenieure und Biologen reden nicht dieselbe Sprache

Es stoßen zwei Welten zusammen, die nicht die gleiche Sprache sprechen. Dennoch sei die Zusammenarbeit essenziell, sagt Eichenberg: "Wenn plötzlich Bestellungen im Millionenumfang vor der Tür stehen, dann hat ein Unternehmen Probleme, wenn es im Jahr nur 1000 Stück herstellen kann."

Eine Firma, die diese Klippe umschifft hat, ist die Curetis GmbH in Holzgerlingen. Vor sieben Jahren von ehemaligen Mitarbeitern der Philips-Medizintechnik gegründet, stellt Curetis modulare Diagnostik-Kits für den Nachweis schwerer Infektionskrankheiten wie Pneumonie, Implantat- oder Gewebeinfektionen und Sepsis her. Dabei handelt es sich um auswechselbare Kartuschen, die in ein Analysegerät eingesetzt werden können und binnen weniger Stunden verlässliche Ergebnisse liefern - bisher dauert es mehrere Tage, bis dem behandelnden Arzt in der Klinik die Ergebnisse vorliegen.

Das Innenleben einer solchen Kartusche gleicht einem kleinen Labor: Es umfasst die notwendigen Chemikalien und Arbeitsschritte für die Polymerasekettenreaktion (PCR), die zur Vervielfältigung von DNA- Spuren des Krankheitserregers dient. Diese werden dann mit genannten Microarrays nachgewiesen - Chips, die mit spezifischen Bindungsmolekülen ausgestattet sind. Über diese Biochips lässt sich zugleich bestimmen, gegen welche Antibiotika der Erreger möglicherweise resistent ist. Insgesamt setzt sich jedes dieser Mini-Labors aus 88 Spritzgussteilen zusammen und enthält 200 verschiedene Reagenzien.

Von Anfang an war klar, dass es für diese Erfindung in den Kliniken der Welt ein großes Potenzial gibt. Maschinen, auf denen man die Kartuschen in Serie hätte produzieren können, existierten jedoch nicht. Durch Vermittlung der "Clusterinitiative Engineering - Life Sciences - Automation" (ELSA), eines von der IHK und der Bioregio Stern unterstützten Projekts, kamen die Biotechnologen mit der Winterbacher Contexo GmbH in Verbindung, einem Hersteller von Sondermaschinen für die Verarbeitung von Kunststoffteilen. In Zusammenarbeit mit Curetis entwickelten die Remstäler einen Maschinentyp, auf dem sich die kniffligen Labormodule herstellen lassen. Auf sieben Fertigungsstraßen im Curetis-Werk Bodelshausen bei Tübingen werden derzeit pro Jahr mehrere 10 000 Diagnosekartuschen im Einschichtbetrieb hergestellt. Ausgelegt ist die Fabrik bis zu einer Million - ein Ausstoß den man in den kommenden Jahren zu erreichen hofft, wenn die Markterschließung in den USA und Asien vorangekommen ist. Dann werde man auch über einen neuen Produktionsstandort nachdenken müssen, sagt Curetis-Vorstandschef Oliver Schacht - die zweite Fabrik werde dann voraussichtlich in den USA oder gegebenenfalls auch in Asien errichtet.

Hierfür werden die Holzgerlinger noch tief in die Taschen greifen müssen - doch die sind seit November 2015 gut gefüllt: 44 Millionen Euro hat Curetis bei einem der wenigen Börsengänge der Branche in den letzten Jahren eingenommen. Damit sieht Schacht sein Unternehmen ausreichend finanziert, bis es wie von den Analysten geplant in den kommenden Jahren profitabel wird.

Kleine und segmentierte Märkte

Wie sich Biotechnologie mit moderner Fabrikautomation in Einklang bringen lässt, beschäftigt auch die Wissenschaftler am Fraunhofer IPA in Stuttgart-Vaihingen. "Die Automatisierungstechnik in vielen Life-Science-Laboren und -Produktionen hinkt anderen Branchen wie dem Maschinenbau um zwei Jahrzehnte hinterher", sagt Andreas Traube, Abteilungsleiter Laborautomatisierung und Bioproduktionstechnik am IPA. Die Gründe hierfür sieht er jedoch weniger in den technischen Schwierigkeiten, eher in interdisziplinären Hürden sowie in der starken Segmentierung und bescheidenen Größe und der Märkte, auf denen obendrein noch sehr wenig Wettbewerb herrsche. Dabei sei die Automatisierung nicht nur für die Massenproduktion wichtig, betont Traube. Schon im Labormaßstab gewährleiste sie eine höhere Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Ergebnisse, die bei der sonst üblichen Handarbeit zu stark von Sorgfalt und Tagesform des ausführenden Mitarbeiters beeinflusst würden.

Gemeinsam mit dem Schwesterinstitut IGB und zwei weiteren Fraunhofer Instituten haben Traube und seine Mitarbeiter die "Tissue Fabrik" entwickelt, in der pro Monat rund 5000 briefmarkengroße Hautzellkulturen vollautomatisch hergestellt werden können. Die künstlichen Hautstückchen dienen zu Transplantationen oder zum Testen von Kosmetika und Chemikalien. Der Bedarf steigt wegen des Wachstums der so genannten Regenerationsmedizin und weil man aus ethischen Gründen verstärkt Alternativen zum Tierversuch einsetzt. Die "Tissue Fabrik" senkt die Produktionszeit der Zellkulturen um die Hälfte auf rund drei Wochen. Und weil die Bio-Produktionsstraße selbst ein steriles, abgeschlossenes System ist, muss sie nicht in einem Reinraum aufgestellt werden.

Auch einem anderen Problem hat sich Traube angenommen. Mit seiner Firma Dispendix, die er gemeinsam mit vier Mitstrei- tern auf dem Campus in Vaihingen gegründet hat, vermarktet er einen selbst entwickelten vollautomatischen Dosierapparat. In Forschungslabors auf der ganzen Welt sieht er ein großes Potenzial, und so erwarten die Gründer, ab dem kommenden Jahr Gewinne einzufahren.

Die Dosiermaschine "I-Dot" der Vaihinger zielt darauf ab, den Verbrauch der oft kost- spieligen Reagenzien bei molekular- und immunbiologischen Prozessen auf ein Minimum zu senken. Diese Sparsamkeit kann man im Prinzip ziemlich weit treiben, denn die zugrundeliegenden Reaktionen laufen selbst in kleinsten Flüssigkeitströpfchen von einigen Nanolitern (milliardstel Litern) ab. Der Haken ist jedoch, dass derart winzige Mengen mit der Pipette, dem Standard werkzeug der Laboranten, kaum zu handhaben sind - ein viel zu großer Teil der Probe würde an der Spitze hängen bleiben. Am besten also, man fasst die Nanotröpf- chen gar nicht erst an - und das funktioniert tatsächlich. In dem vollautomatischen Do- sierapparat von Dispendix werden Flüssigkei- ten in wenige Nanoliter große Mengen zerteilt - mittels Druckluft. Die Flüssigkeiten sind hier in kleinen Näpfchen enthalten, an deren Grund sich jeweils ein Siliziumplättchen mit einem Loch befindet. Das Loch ist so winzig, dass die Flüssigkeit aufgrund der Oberflächenspannung nicht herauslaufen kann. Wird jedoch ein Druckluftimpuls auf die Näpfchen gegeben, presst dieser eine definierte Menge Flüssigkeit hindurch, deren Volumen man durch Dauer und Intensität des Druckluftschubs einstellen kann. werkzeug der Laboranten, kaum zu hand-haben sind - ein viel zu großer Teil der Probe würde an der Spitze hängen bleiben.

Der Charme des I-Dot liegt auch darin, dass er sich einer vergleichsweise einfachen Technik bedient und laborübliche Einzelteile verwendet. Kosten und Herstellungsaufwand sind daher überschaubar. So kommen Druckluftkomponenten von Festo zum Einsatz, die Näpfchen lassen sich bequem in die Zeitraum von fünf bis sieben Jahren engagiert, spielen auch eine sehr aktive Rolle im Aufsichtsrat. Wenn sich die Technologie nach unseren Vorstellungen entwickelt, kann am Ende die Akquisition der Firma stehen - oder eine langfristige Zusammenarbeit. Was aber nicht funktioniert, sind "preferred rights" - Vereinbarungen, die Boehringer von vorne- herein den Zugriff auf das Unternehmen oder seine Produkte sichern würden. So etwas kostet das Vertrauen anderer Investoren. Auf deren Zusammenarbeit sind wir aber angewiesen.

Das Interview mit Dr. Frank Kalkbrenner, Leiter des Boehringer Ingelheim Venture Fons könnten Sie hier nachlesen.